Folge 3
Die Violine des Johann Krauß – ein „Fälschungsopfer“ des frühen 19. Jahrhunderts

Folge 3

Obwohl gerade Violinen in der ständigen Ausstellung zum Musikinstrumentenbau einen wichtigen inhaltlichen Platz einnehmen, bleibt die Violine des Johann Krauß im Depot. Doch als Klingenthal im Jahr 2016 das 300 jährige Gründungsjubiläum der Geigenmacherinnung feierte, sorgte das Instrument fast für eine Sensation:

Der im Geigenboden befindliche Zettel mit der Aufschrift „Johann Krauß, Violin-macher im Quittenbach 1672“ machte Hoffnung darauf, dass es sich um das älteste noch erhaltene Instrument aus der gesamten Region handeln könnte und wäre ein sicherer Beleg dafür gewesen, dass sich bereits lange vor Gründung der örtlichen Geigenmacherinnung Violinmacher im Raum Klingenthal angesiedelt hatten. Zudem existierte für das Instrument bereits eine schriftliche Expertise eines in Fachkreisen renommierten Experten, welcher vor Jahren die Echtheit bescheinigt hatte. Der Besitzer des Instruments – ein Sammler – hielt deshalb große Stücke auf seinen „Schatz“ und es bedurfte wochenlanger Überredungskunst durch die Jubiläumsarbeitsgruppe, bis die Violine in Klingenthal eintraf, denn schließlich sollte das Instrument auch zur Sonderausstellung im Mai 2016 gezeigt werden können.

Gab es um 1672 wirklich einen Geigenmacher namens Johann Krauß im Quittenbach, war das verarbeitete Holz tatsächlich vor 1672 geschlagen worden und was verbarg sich hinter dem Brandstempel, welche sich im Boden gleich neben dem Zettel befand? Die Antworten auf diese Detailfragen würden die Echtheit beweisen oder widerlegen. Es galt also die „Geburtsstunde“ der Violine herauszufinden. Geschichtswissenschaft, Instrumentenkunde und naturwissenschaftliche Methoden brachten schließlich die wahre Historie des Instruments ans Tageslicht:

Manfred Gäbler, Kuratoriumsvorsitzender des Musik- und Wintersportmuseums und ausgesprochener Kenner der Kirchenbücher und Familienstammbäume im Raum Klingenthal fand keinen Eintrag zu „Johann Krauß“ für jene Zeit. Geigenbaumeister Ekkard Seidl datierte das verarbeitete Fichtenholz der Decke durch eine dendrochronologische Holzuntersuchung auf nach 1767. Wie eine Besichtigung unter UV-Licht zeigte war die Decke niemals abgenommen oder gar ausgetauscht worden, und so war das Holz der Geige nachweislich fast 100 Jahre jünger als der Zettel auswies! Wer aber war nun der Erbauer der durchaus klangvollen Violine? Dem Musikwissenschaftler Dr. Enrico Weller war der Markneukirchner Geigenbaumeister „Johann Adam Krauß“ ebenso bekannt wie auch der neben dem Zettel befindliche Abdruck der Sächsischen Königskrone. Da Sachsen erst 1806 zum Königreich erhoben wurde, konnte auch der Brandstempel erst seit dieser Zeit verwendet worden sein und dies wiederum passte auf die Lebensdaten des real existierenden „Johann Adam Krauß“ aus Markneukirchen, welcher von 1764-1815 lebte. Die Violine könnte also zwischen 1806 und 1815 gefertigt worden sein. „Zuschreibung“ nennt die Fachwelt eine solche vermutete Urheberschaft. Obwohl nun aus Markneukirchen und nicht dem Quittenbach, fand die Violine in der Sonderausstellung 2016 doch ihren Platz, denn historisch ist sie ein Zeugnis der gängigen Praktiken des Geigenhandels damaliger Zeit: Um die Preise zu steigern, wurden Instrumente per Zettel oder Brandstempel älter gemacht und mit vermeintlich berühmten Namen versehen. Die Markneukirchner Verleger benutzen dazu gern auch das Quittenbach in Klingenthal, hatten die alten Meister aus dieser Gegend doch einen hervorragenden und damit auch die Verkaufspreise steigernden Ruf. Ob es die angegebenen Namen auch in Person tatsächlich gegeben hat, ist in vielen Fällen ungeklärt. Beweis für diese wahrscheinlich tausendfach angewendete Methode der „Altgeigen-Fälschung“ ist auch ein sogenannter Lithografie-Stein aus der Zeit um 1900. Er war die Druckvorlage für Geigenzettel klangvoller europäischer und vor allem italienischer Geigenmacher, einige davon hat es nachweislich gegeben, andere sind wohl der bloßen Phantasie der Verleger entsprungen. Auch dieser Stein befindet sich im Depot des Musik- und Wintersportmuseums. „Markenbewusstsein“ herrschte bereits vor mehr als 100 Jahren, bis heute entscheiden Name und regionale Herkunft bei Violinen maßgeblich den materiellen Wert mit.

Der Besitzer der „Johann Krauß“-Geige jedenfalls war über die eindeutigen Forschungsergebnisse aus dem Musikwinkel enttäuscht. Doch obwohl die eigentlich erhoffte Sensation ausblieb, ist das Instrument aus historischer Sicht wegen seiner Eigenschaften ein bemerkenswertes Objekt. Zudem ist die Violine deshalb noch lange nicht wertlos, denn das Instrument ist gut verarbeitet und hat einen durchaus passablen Klang. (XB)


Nicht immer ist der Geigenzettel auch die Visitenkarte des Instruments, historische und naturwissenschaftliche Untersuchungen bringen oft die wahre Geschichte ans Licht.

Litho-Stein
Litho Stein mit klangvollen Namen europäischer Geigenmacher

 

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